Autor: Andrè Eichelbaum
In einigen Ländern wie Frankreich oder den USA ist es bereits Standard und hat sich im Schulalltag bewährt – das Fachraumprinzip. Während an den meisten deutschen Schulen das Klassenzimmer noch den Schüler*innen gehört, verfügen bei diesem Konzept die Lehrkräfte über ihre eigenen Räume und erwarten dort die Klassen zum Unterricht. Das Prinzip ist eigentlich auch nicht neu, denn für Physik, Sport, Chemie, Kunst, Musik und noch einige andere Schulfächer ist es jetzt schon üblich, dass die Schüler*innen nicht im eigenen Klassenzimmer, sondern in speziellen Fachräumen unterrichtet werden. Und betrachten wir die Situation in der Grundschule, so hat dort auch jede Lehrkraft ihr eigenes Klassenzimmer.
Es ist viel mehr möglich als gedacht
Das Fachraumprinzip lässt sich jedoch auch ganz einfach auf Deutsch, Mathematik, Erdkunde, Geschichte und alle anderen Fächer übertragen. Die Klassenzimmer können dann thematisch gestaltet werden und weisen dadurch immer einen besonderen Bezug zum jeweiligen Fach auf. So können Mathematiklehrkräfte ihre Räume mit Bildern bekannter Fachwissenschaftler*innen dekorieren, es lassen sich wichtige Formeln zur stetigen Visualisierung aufhängen und geometrische Formen können zum besseren Verständnis für die Schüler*innen in dreidimensionalen Modellen dort aufgestellt werden.
Die möglichen Nachteile des Fachraumprinzips
Wenn Fachräume eine so praktische Lösung wären, stellt sich die Frage, warum dieses Prinzip nicht bereits flächendeckend umgesetzt wurde? Es gibt trotz vieler Vorteile, auf die wir später zu sprechen kommen, verschiedene Nachteile, die wir hier nicht unerwähnt lassen wollen.
Nachteil 1 – viel Bewegung
Wenn anstatt der zahlenmäßig wenigen Lehrer*innen alle Schülerinnen und Schüler unterwegs sind, um den Raum zu wechseln, herrscht in der Schule deutlich mehr Bewegung als beim Klassenzimmerprinzip.
Lösung: Wenn möglich, kann der Unterricht hauptsächlich auf Doppelstunden umgestellt werden, um die häufigen Raumwechsel zu minimieren.
Nachteil 2 – es muss auch passen
Wenn eine Lehrkraft Schüler*innen unterschiedlicher Altersstufen in ihrem Klassenraum erwartet, könnte es mit den Schulmöbeln zu Schwierigkeiten kommen. Für Schüler*innen aus der 5. Jahrgangsstufe werden die Möbel der Zehntklässler*innen zu groß sein und umgekehrt.
Lösung: Flexibles Mobiliar. FLS bietet Mobiliar an, welches für alle Körpergrößen gut geeigent ist. Dies sind sind zum Beispiel Stufenhocker, Lerntreppen oder Produkte aus dem ZAP Konzept, bei denen keine Höheneinstellung vor jedem Gebrauch nötig ist.
Nachteil 3 – die große Last der Lehrmittel
Beim Wechsel des Klassenzimmers müssen die Schüler*innen all ihre persönlichen Dinge und Arbeitsmaterialien umhertragen, was zur Last für die Kinder und Jugendlichen werden und auf Dauer sogar zu Haltungsschäden führen kann.
Lösung: Schulbücher können in ausreichender Stückzahl im Fachraum deponiert werden. Das führt generell zur Entlastung der Taschen, da die Bücher erst gar nicht mehr mit in die Schule gebracht werden müssen.
Zusätzlich können in der Schule Spinde für die Schüler*innen angeschafft werden, in denen sie nicht benötigtes Material und persönliche Dinge einschließen können.
Nachteil 4 – eine Schule für alle
Das Prinzip der Inklusion lässt sich bei festen Klassenräumen einfacher umsetzen. Für Schüler*innen, die auf technische oder räumliche Unterstützung angewiesen sind, können deren Klassenzimmer individuell angepasst werden, ohne gleich das gesamte Schulgebäude baulich zu verändern. Zum Beispiel können für Kinder mit einer Hörschädigung die Räume mit schallgedämmten Decken, Mikrofonen und Lautsprechern ausgestattet werden.
Lösung: Die Standards werden im Sinne der Inklusion zukünftig ohnehin angehoben werden müssen. Bis zu einer Umrüstung der Schulen, könnten mobile Lösungen für Abhilfe sorgen.
Nachteil 5 – weniger Austausch zwischen den Lehrkräften
Das Lehrerzimmer ist nicht nur ein Rückzugsort für Pädagog*innen in den Pausen, es ermöglicht auch den Austausch untereinander und das auf dem „kurzen Dienstweg“.
Lösung: Vielleicht ist es sogar von Vorteil, wenn sich zwei Lehrkräfte außerhalb des Lehrerzimmer-Trubels in Ruhe in einem Klassenzimmer unterhalten können.
Generell lässt sich sagen, dass sich für eventuelle Probleme, die durch das Fachraumprinzip entstehen, in den meisten Fällen Lösungen finden lassen. Diese sind selbstverständlich nicht zu pauschalisieren und müssen individuell an jeder Schule entwickelt werden.
Die Vorteile des Fachraumprinzips
Widmen wir uns nun jedoch den Vorteilen. Was also, wenn jede Lehrkraft ein eigenes Zimmer in der Schule zugewiesen bekommt und die Schüler*innen dort zu Gast sind? Was lässt sich für das Kollegium aber auch für die Schüler*innen auf der Habenseite verzeichnen?
Vorteil 1 – Themenwechsel in Kopf und Körper
Die Schüler*innen bewegen sich mit jedem Raumwechsel und gehen bewusst an einen anderen Lernort. Durch die körperliche Aktivierung steigert sich die Konzentration erwiesenermaßen. Auf diese Weise fällt es leichter, sich von Stundenbeginn an auf ein neues Thema zu konzentrieren.
Vorteil 2 – In der Ruhe liegt die Kraft
Die Lehrkräfte haben in den Pausen einen eigenen Rückzugsort. Hier können in aller Ruhe Gespräche mit Schüler*innen, Kolleg*innen und Eltern geführt werden. Vielleicht lässt sich sogar einmal für eine entspannte Regeneration die eigene Yogamatte ausrollen.
Vorteil 3 – alles picobello
Der Inhalt jeder Unterrichtsstunde wird durch die Lehrer*innen geplant und organisiert. Spezielle Lehrmittel müssen dafür beschafft, Tafelbilder gestaltet und elektronisches Equipment wie zum Beispiel Beamer entsprechend vorbereitet werden. Anstatt, dass die Lehrkraft all ihre Materialien durch die Schule in die Klassenräume tragen und dort arrangieren muss, ist es einfacher, wenn sie den Unterricht vor Eintreffen der Schüler*innen in ihrem Fachraum auf den nötigen Stand bringen kann.
Vorteil 4 – der Raum erhält Sinn und Zweck
Wie bereits erwähnt, ist ein großer Vorteil des Fachraumprinzips, dass die jeweiligen Zimmer durch ihre fachspezifische Gestaltung eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema erlauben. Das gilt für naturwissenschaftliche Fächer ebenso, wie für Sprachen und Sozialwissenschaften.
Vorteil 5 – mehr soziales Miteinander
Fachräume bleiben bis zum Eintreffen der Lehrkräfte verschlossen. Sollte eine Klasse also doch einmal vor der Tür in den Gängen warten müssen, trägt dies zu einem verbesserten Sozialklima in der Gruppe bei. Gruppendynamische Prozesse wie Streitereien finden eher statt, wenn sich die Klasse unbeobachtet in ihrem Klassenzimmer fühlt.
Auch das technische Equipment wie Tablets, Laptops, Beamer oder Kameras erweist sich als langlebiger, wenn es nicht in Klassenzimmern aufbewahrt wird, in denen Schüler*innen freien Zugriff darauf haben. Besser ist es, wenn eine Lehrkraft sie in ihrem Fachraum verwaltet.
Vorteil 6 – Zimmer frei
In manchen Schulen hat die Umstellung auf Fachräume dazu geführt, dass freie Räume entstanden sind, die dann wiederum für gemeinschaftliche Tätigkeiten genutzt werden konnten. Das ist zwar nicht die Regel, da manche Schulen eher unter Platznot leiden, aber für die eine oder andere Schule kann dies einen weiteren Pluspunkt darstellen.
Fazit – Vieles könnte sich verbessern
Es zeigt sich, dass sich pädagogisch gesehen vieles an einer Schule verbessern könnte, wenn das Fachraumprinzip dort eingeführt würde. Selbstverständlich gibt es auch verschiedene Knackpunkte, die es zu überwinden gilt, aber für euch als Lehrkräfte stehen sicherlich mehr Pluspunkte auf der Habenseite als unüberwindbare Hindernisse.
Unterricht könnte besser und vor allem stressfreier vorbereitet werden und insgesamt würde das Eintauchen in die jeweiligen Fachinhalte für alle Beteiligten verbessert. Auch für Lehrer*innen würde das Fachraumprinzip eine stärkere Konzentration auf die Inhalte ermöglichen, wenn die Unterrichtsvorbereitung jenseits des lauten und trubeligen Lehrerzimmers stattfinden könnte.
Schließlich würde das Prinzip dem natürlichen Bewegungsdrang der Schülerinnen und Schüler sehr entgegenkommen und den Wechsel von einem Fach in ein anderes durch die räumliche Trennung deutlicher machen.
Wie lässt sich das Projekt umsetzen?
Sollte in eurem Lehrerzimmer das Fachraumprinzip vielleicht auch schon Thema sein und ihr tragt euch mit dem Gedanken, dieses an eurer Schule umzusetzen, dann solltet ihr folgende Aspekte beachten.
Gut geplant ist halb umgesetzt
Bevor es wirklich losgehen kann, sollte ein wasserdichter Plan erstellt werden. Hindernisse, die zunächst nicht bedacht wurden, wird es immer geben (siehe Anlaufschwierigkeiten). Deshalb ist es wichtig, so viele Eventualitäten wie möglich im Vorfeld ins Kalkül gezogen zu haben. Dabei hilft zum Beispiel eine gute Recherche, wer, wie, wo das Fachraumprinzip bereits eingeführt hat, ebenso, wie eine lückenlose Ist-Analyse der eigenen Räumlichkeiten.
Überzeugung
Wichtig ist, dass von Anfang an alle – Schüler*innen, Eltern, das Kollegium und der Schulträger – von dem Projekt überzeugt sind und niemand seine Interessen an den anderen vorbeischummelt. Wenn alle das Fachraumprinzip einführen wollen, ist es ein leichteres Unterfangen, als wenn gegen Widerstände gearbeitet werden muss.
Niemand ist perfekt
Ein derart umfangreiches Projekt wird in seinen unterschiedlichen Facetten unterschiedlich leicht umzusetzen sein. Stellt euch also auf Anlaufschwierigkeiten ein, lasst euch von ihnen jedoch nicht entmutigen. Sucht das Gespräch im Plenum mit den beteiligten Gruppen und findet dort gemeinsame Lösungen.
Transparenz
Womit wir schon beim nächsten und letzten Punkt, der Offenheit gegenüber allen, wären. Wenn alle Beteiligten in einer transparenten Kommunikation auf dem Laufenden gehalten werden, fühlt sich niemand übergangen und es können vor allem keine wichtigen Aspekte oder Meinungen verlorengehen.
Viel Erfolg
Wenn ihr nun von der Idee des Fachraumprinzips überzeugt seid, dann wünschen wir euch viel Erfolg. Holt euch möglichst viel Wissen aus anderen Kollegien, dann habt ihr schon einmal eine Handvoll Erfahrungen, auf die ihr aufbauen könnt.
Natürlich stehen euch unsere Expert*innen beim Thema „Lernraumgestaltung“ ebenfalls mit fundierten Kenntnissen zur Seite, wenn ihr für das neue Konzept auch die passenden Schulmöbel benötigt.
Das Graf-Münster-Gymnasium Bayreuth macht es vor
Wie die praktische Umsetzung des Fachraumprinzips gelingen kann – an einem realen Beispiel aufgezeigt.
Der Status Quo am Graf-Münster-Gymnasium in Bayreuth war vor der Einführung des Fachraumprinzips nicht besonders ansehnlich. Die Klassenzimmer machten einen eher uninspierierten Eindruck und niemand fühlte sich in den Räumen wirklich für deren Gestaltung zuständig. Ein paar Popstar-Poster hingen an der Wand – das war es dann aber auch schon.
Alle müssen es wollen
Eine kleine Gruppe von Lehrkräften um den heutigen Personalratsvorsitzenden Matthias Wutschig hatte damals die Idee, Fachräume beziehungsweise „Lehrerklassenzimmer“ einzurichten. Dabei ging es selbstverständlich nicht nur um das Design der Zimmer – es war ein grundsätzlicher Gedanke, den Lehrer*innen die Räume zuzuschreiben, um die im vorherigen Artikel aufgeführten Vorteile des Konzeptes nutzen zu können. Die Initiative stieß jedoch nur bei Wenigen auf Gegenliebe und blieb bis zu einem Wechsel der Schulleitung in der Schublade stecken.
Endlich der Startschuss
Dann, nach mehreren Jahren des Wartens und der stetigen Überzeugungsarbeit, fand das Projekt doch genug Zuspruch, um umgesetzt zu werden. Die Räume wurden nicht mehr an die Klassen, sondern an die Lehrkräfte verteilt. Sie erhielten die Hoheit über ihre eigenen Zimmer und konnten diese nach ihren Vorstellungen einrichten. „Viele haben die Möglichkeit genutzt, um die Räume liebevoll zu gestalten“, erklärt Wutschig seine Sicht auf die Veränderung.
Der Algorhythmus
Er berichtet aber auch davon, dass das Projekt kein Selbstläufer war. Manche Probleme rückten erst mit der Umsetzung ins Bewusstsein und fanden dann situativ eine Lösung. Am Graf-Münster-Gymnasium gab und gibt es zum Beispiel mehr Lehrer*innen als Zimmer. Also musste ein System entwickelt werden, nach dem die Vergabe der Räume berechnet werden konnte und das Kollegium entschied sich für folgende Variante:
Zunächst wurde berechnet, wie viele Anteile jedes Fach an der Gesamtstundenmenge hat. Danach wurde den Fächern eine bestimmte Anzahl von Räumen zugewiesen und inhaltlich in Fachtrakten zusammengefasst. Zum Beispiel kamen die Neueren Sprachen alle zusammen in einem Trakt. Dann galt es, den Lehrkräften je nach den Fächern, die sie unterrichten, Räume zuzuteilen. Für dieses Prozedere war die jeweilige Stundenzahl der einzelnen Pädagog*innen relevant. Also eine Deutschlehrerin, die ihr Fach acht Stunden pro Woche unterrichtet hat bei der Vergabe Vorrang vor einem Kollegen, der nur sechs Stunden Deutsch in der Woche gab. Wer zwei Fächer unterrichtet, erhält selbstverständlich nur ein Lehrerklassenzimmer.
Unter dem Strich nur Vorteile
Wutschig zieht heute eine positive Bilanz. Es gibt zwar Punkte, die nicht reibungslos funktionieren oder erst einmal negativ ins Bewusstsein rückten, doch unter dem Strich überwiegen aus seiner Erfahrung die Vorteile. Zum Beispiel gibt er zu, dass durch die Klassenwanderungen Zeit verloren geht. Es dauert einfach ein bisschen länger, bis sich alle Schüler*innen nach der Pause beim Unterricht einfinden. „Aber dafür ist die Qualität des Unterrichts deutlich besser geworden“, stellt der Personalrat fest. „Wir haben einfach mehr Zeit, um alle Materialien vorzubereiten und müssen mit dem Equipment nicht immer durch die halbe Schule laufen.“
Auf die Frage, ob sich denn das Kollegium durch den Wegfall des Lehrerzimmers nicht weniger oft sehen würde, antwortet er kurz und knapp mit „Ja“. Das sei so, würde aber niemanden stören, denn „ich weiß ja, wo ich die Kolleg*innen finde, wenn ich etwas von ihnen will.“
Selbst die Tatsache, dass Lehrkräfte, die aufgrund ihres Alters ihre Stunden reduzieren, unter Umständen ihr Lehrerklassenzimmer an eine jüngere Kollegin oder einen Kollegen verlieren könnten, war bisher kein wirkliches Streitthema und wurde im Kollegium als gegeben akzeptiert. Die Zimmervergabe wird für jedes Schuljahr neu berechnet und kann somit auch zu geringen Fluktuationen führen.
Einzig die Kleinsten in der Schule, die Neustarter der 5. Jahrgangsstufe genießen in diesem System noch Welpenschutz. Sie erhalten jeweils ein eigenes Klassenzimmer, weil sie es so aus der Grundschule gewohnt sind und sich zunächst an das Fachraumprinzip gewöhnen sollen. Alle anderen Schüler*innen begeben sich ohne Murren zu ihrer jeweiligen Lehrkraft. Auch bei ihnen findet das System positiven Anklang.