Autor: Andrè Eichelbaum
Nach dem Churer Modell wollen wir euch ein weiteres reformpädagogisches Konzept vorstellen – die Jenaplan-Schulen. Der Jenaplan wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von dem deutschen Pädagogen Peter Petersen entwickelt. Das Konzept basiert auf einer ganzheitlichen und kindzentrierten Bildungsphilosophie, die den Fokus auf die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit der Schüler*innen legt, anstatt nur auf die Vermittlung von Wissen. Das Konzept war ursprünglich für Grundschulen gedacht und wird heute in verschiedenen Schulformen bis hin zum Gymnasium angewendet – insbesondere in den Niederlanden und Deutschland. In manchen Schulen wird es konsequent umgesetzt, es lässt sich jedoch auch in Anlehnung auf Regelschulen übertragen.
Nach einer Einführung in die Grundlagen dieses Konzeptes werden wir gesondert auf die Gestaltung der Lernräume eingehen, die aus den Ideen Petersens resultiert.
Die Prinzipien der Jenaplan-Pädagogik
Auch bei abgewandelten Umsetzungen des Jenaplan-Konzeptes gibt es einige zentrale Prinzipien, die der Idee Petersens zugrunde liegen und die hier zu Beginn des Textes skizziert werden sollen.
Gemeinschaft und Individualität
Nach dem Jenaplan ist die Schule ein Lern- und Lebensort für die Gemeinschaft, an dem Kinder in Gruppen unterschiedlicher Altersstufen zusammenarbeiten und voneinander lernen. Gleichzeitig wird die Individualität jedes Kindes respektiert und gefördert. Mittlerweile gehört es zum pädagogischen Grundwissen, dass jeder Mensch individuelle Lernstrukturen bevorzugt. Aus diesem Grund stehen den Schüler*innen der Jenaplan-Schulen unterschiedliche Lernmedien und Lernorte zur Verfügung, worauf wir später im Bezug auf die Raumplanung eingehen werden.
Vier Grundformen des Lernens
Die Jenaplan-Schule kennt vier pädagogische Grundaspekte: das Gespräch, das Spiel, die Arbeit und die Feier.
Das Gespräch
Beim Gespräch werden Kommunikation, Diskussion und Austausch zwischen Schüler*innen und Lehrkräften als zentraler Prozess gesehen. Die Kinder lernen, ihre Meinung zu artikulieren, sich mit anderen Standpunkten auseinanderzusetzen, Wissen weiterzugeben und gemeinschaftliche Lösungen auf Fragen zu finden. Für Feedback zum eigenen Leistungsstand oder bei Problemen stehen ihnen Coaches zur Seite, die jederzeit zum Gespräch bereit sind.
Das Spiel
Das Spiel ist ebenfalls zentraler Bestandteil des Jenaplan-Konzepts, da es das soziale Lernen, die kreative Entfaltung, die Fantasie und Selbstständigkeit fördert. Durch Rollenspiele, Gesellschaftsspiele oder Bewegungsaktivitäten lernen Kinder soziale Kompetenzen wie Teamarbeit, Konfliktlösung und Fairness.
Die Arbeit
Der Arbeitsbegriff ist im Jenaplan weit gefasst und beinhaltet nicht nur schulische Aufgaben. Er beschreibt jede Art von aktiver Auseinandersetzung mit der Umwelt. Das Ziel ist es, den Schüler*innen Raum zu geben, ihre Neugier und Kreativität auszuleben. Selbstgesteuertes Lernen in Projekten, beim Experimentieren oder bei der Recherche spielt hierbei eine zentrale Rolle.
Die Feier
Schließlich haben auch Feste und Feiern im Jenaplan-Alltag eine besondere Bedeutung. Sie fördern den Zusammenhalt und dienen dazu, Erfolge zu würdigen und Gemeinschaft zu erleben. Feste können sowohl im kleinen Kreis innerhalb einer Klasse beziehungsweise einer Stammgruppe als auch im großen Rahmen auf Schulfesten stattfinden. Sie schaffen wertvolle Erinnerungen und stärken das Wir-Gefühl und stehen im klassischen Konzept am Ende jeder Woche.
Lernen mit Weltbezug
Der Jenaplan legt großen Wert auf fächerübergreifenden Unterricht und das Lernen in Projekten. So wird ein lebensnahes Lernen ermöglicht, das auf der realen Welt und den Interessen der Kinder aufbaut. Ein Glas Wasser kann im Unterricht Anlass für unterschiedlichste Überlegungen sein: Woher kommt das Wasser? Wie entsteht Regen? Woraus wird ein Glas hergestellt? Wie funktioniert eine Glashütte? Was bedeutet die chemische Bezeichnung H2O? Was ist die Dichte von Wasser? Auch mathematische oder sogar literarische Fragestellungen und Vieles mehr sind möglich.
Die Rolle der Lehrkräfte
Bei der Erarbeitung dieses Wissens nimmt die Lehrkraft eine andere Rolle ein als in der Regelschule. Statt als Wissensvermittler*in fungiert sie eher als Lernbegleiter*in. Sie unterstützt die Kinder dabei, ihre eigenen Lernziele zu setzen und diese selbstständig zu erreichen. Dies erfordert eine hohe Reflexionsfähigkeit und Flexibilität seitens der Lehrkräfte, da sie auf die individuellen Lernbedürfnisse der Schüler*innen eingehen müssen. Ein zentraler Aspekt ist das Feedback, das in Form von Gesprächen und Reflexionen gegeben wird – Zensuren spielen im Jenaplan nur eine untergeordnete und in den ersten Jahrgangsstufen gar keine Rolle. Stattdessen wird der erreichte Kenntnisstand reflektiert und in Beurteilungen dokumentiert.
Die Rolle der Eltern
Jenaplan-Schulen entstehen in den meisten Fällen auf Initiative von Eltern. Das heißt, sie sind in der Regel Privatschulen und werden durch Eltern finanziert. Um die Kosten wiederum so gering wie möglich zu halten, setzt die Schule in hohem Maße auf die Eigeninitiative der Erziehungsberechtigten. „Die Eltern sind ein wichtiger Bestandteil der Schulgemeinschaft. Über unterschiedliche Arbeitsgemeinschaften organisiert bekommen sie Nähe zum Schulalltag und können so Vertrauen in die neue Form des Lernens aufbauen.“ So beschreibt es das Jenaplan-Gymnasium in Nürnberg auf seiner Website. Die Mütter und Väter reparieren, kochen, gestalten den Internetauftritt, organisieren Erste-Hilfe-Kurse und vieles mehr.
Der Wochenrhythmus
An den meisten Jenaplan-Schulen gibt es einen flexiblen Wochenrhythmus. Es wird zwischen „offenen“ und „gebundenen“ Unterrichtszeiten unterschieden. In den offenen Zeiten arbeiten die Schüler*innen selbstständig an Projekten oder Aufgaben, während in den gebundenen Zeiten der klassische Unterricht stattfindet. Diese Struktur bietet den Vorteil, dass Kinder je nach ihrem individuellen Lernstand und Interesse vertiefend oder wiederholend arbeiten können.
Die altersgemischten Gruppen sind ein weiteres Merkmal des Jenaplan-Konzepts. In der Regel werden Schüler*innen verschiedener Altersstufen in sogenannten Stammgruppen unterrichtet, um das soziale Lernen zu fördern und den Austausch zwischen den Jahrgängen zu ermöglichen. Ältere Schüler*innen übernehmen Verantwortung für die Jüngeren und festigen dabei ihr eigenes Wissen.
Raumgestaltung in Jenaplan-Schulen
Dem Aspekt der Raumgestaltung an Jenaplan-Schulen wollen wir selbstverständlich unsere besondere Aufmerksamkeit schenken, da er zu 100 Prozent in unseren Kompetenzbereich fällt und einen wesentlichen Bestandteil des pädagogischen Konzeptes darstellt. Der Raum spielt eine zentrale Rolle bei der Förderung des Lernens und der sozialen Interaktion. Er ist nicht nur physischer Aufenthaltsort, sondern wird aktiv in den Lernprozess eingebunden. Ein grundsätzliches Merkmal ist die flexible Nutzung der Räume, die sowohl für Gruppenarbeiten, gemeinschaftliche Aktivitäten als auch für individuelle Lernphasen geeignet sind.
Kreativität fördern
Jenaplan-Schulen sind offen und freundlich gestaltet, um eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, die das Lernen unterstützt. Hierbei spielt das Mobiliar eine wichtige Rolle: Es gibt verschiedene Lerninseln, Rückzugsorte und Kreativbereiche, die den Schüler*innen die Möglichkeit geben, sich frei zu entfalten. Die Räume sind in der Regel multifunktional gestaltet und können mit wenigen Handgriffen umgebaut werden, um den unterschiedlichen Lernbedürfnissen und Lernsituationen gerecht zu werden. Mobiliar wie höhenverstellbare oder flexible Tisch-Lösungen, gemütliche Sitzgelegenheiten, Podeste mit unterschiedlichen Ebenen, Lesekojen, Werkbänke für handwerkliche oder künstlerische Arbeiten fördern die Bewegungsfreiheit und das kreative Denken.
Variabilität ist gefragt
Die Lernräume tragen in ihrer Variabilität den individuellen Bedürfnissen der Schüler*innen Rechnung. Es ist zum einen entscheidend, mit welchen Lernmitteln die Kinder arbeiten wollen: Die einen möchten gern einen Podcast zum jeweiligen Thema hören, manchen lesen klassisch ein Buch, andere ziehen die Infos aus einem Online-Video und wieder andere Schüler*innen wollen in Gruppen ihre Informationen austauschen. Die unterschiedlichen Herangehensweisen setzen unterschiedliche Räume und Schulmöbel voraus. Ebenso wie das Lernmittel ist auch entscheidend, in welcher Atmosphäre, in welchem Umfeld die einzelnen Kinder lernen wollen. In Stille allein, in der Gruppe, im Plenum … alles ist möglich, wenn der Raum es zulässt.
Respekt kommt zurück
Schließlich spielen auch Gestaltung und Wertigkeit der Lernumgebung eine bedeutende Rolle, weil sie einen gewissen Respekt den Menschen gegenüber – Schüler*innen und Lehrkräften gleichermaßen – ausdrücken, die sich einen großen Teil des Tages in dem Schulgebäude aufhalten. Im Nürnberger Jenaplan-Gymnasium wurde ein besonderes Augenmerk auf hochwertige Schulmöbel und ein ansprechendes Design der Räume gelegt. Bernd Beisse, Designer und Innenarchitekt, Teil des Vorstandes sowie Mitbegründer der Schule machte dabei eine besondere Feststellung: „Uns wurde prophezeit, dass die Schüler*innen die aufwendig ausgestatteten Räume und Möbel innerhalb kurzer Zeit beschmieren oder kaputtmachen würden. Wir haben festgestellt, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Die Kinder gehen mit dem Raum sehr sorgsam um, weil sie seine Gestaltung ebenso wie wir schätzen und respektieren.“
Wir helfen gern
Ist das Jenaplan-Modell vielleicht auch für eure Schule ganz oder teilweise interessant? Ergänzend zu euren pädagogischen Ideen bringen wir uns gern zu den Themen Raumgestaltung und moderne Schulmöbel in eure Planungen mit ein. In einem unverbindlichen Ortstermin erarbeiten wir mit euch passende Raumkonzepte für eure zukünftige Jenaplan-Schule.